Kurz nach dem Don-Bosco-Heim

In den Jahren, indem der Missbrauch im Don-Bosco-Heim stattfand, waren meine schulischen Leistungen sehr mangelhaft.
Ich konnte mich in der Schule oft nicht konzentrieren, weil meine Gedanken und meine Ängste schon auf den Nachmittag in der Gruppe fokussiert waren, auf einen eventuellen nächsten Missbrauch hin.
Die Schule war für mich auch ein Katalysator, wo ich meine Wut und den Frust herauslassen konnte.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus wegen suizidalem Verhaltens zog ich im Mai 1978 zu meiner Mutter.
Ich kam auf eine neue Schule und atmete auf, denn Ängste vor erneutem Missbrauch musste ich nicht befürchten. Diese Veränderungen in mir zeigt ein Vergleich zwischen dem letzten Schulzeugnis, welches ich in der Missbrauchszeit erhielt und dem ersten Schulzeugnis, nachdem ich das Heim verlassen hatte. (
Zeugnisse)

Ich verließ die Schule mit einem Realschulabschluss (MSA).
Während der Schuljahre konnte ich alles Geschehene, so gut wie möglich verdrängen, indem ich, in Freundschaften, in einer Band, in der Tätigkeit des Schulsprechers und Liebesbeziehungen Halt suchte.


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Doch in manchen Nächten bzw. Träumen, kamen die Bilder und Emotionen zurück, später zeigten sich die Symptome einer PTBS vollends. Gerüche, Musikstücke, Erinnerungsfetzen- und ich bin in meinen Gedanken und Gefühlen in dem geschehenden Missbrauchsszenario gefangen. Wie Dr. Teschke schreibt, bestanden seit der ersten Missbrauchstat depressive Phasen und Flashbacks, was sich in meinem bisherigen Leben auch so fortsetzte.


Therapien

Erst im Jahre 2004 suchte ich professionelle Hilfe auf, da die depressiven Phasen in immer kürzeren Abständen auftauchten und die Arbeitsausfälle wegen der Krankschreibungen sich mehrten.
In einer EMDR Therapie, die von einer Gesprächstherapie begleitet wurde, waren die Missbrauchsvorgänge das vordergründige Ziel. Es wurde offenbar, dass der 10 jährige Junge, in dessen Welt es noch keine sexuellen Inhalte gab, von den Geschehnissen mit dem Pater, völlig traumatisiert wurde.
Des Weiteren wurde analysiert, ob ohne den Missbrauch des Paters, die Geschehnisse ihren Weg genauso genommen hätten.

Im Ergebnis heißt es, dass ich mich ohne den Missbrauch durch den Pater, gegen Avancen imminent hätte wehren können. Durch die Traumatisierung und meiner Verunsicherung, wurde ich jedoch zu einem weiteren Missbrauchsopfer.

Nach Beendigung der jeweiligen EMDR-Sitzungen, ging es mir immer sehr schlecht, ein Abschalten, der in der Therapie aufgerufenen Situationen, oder einen „sichereren Ort“ zu etablieren war mir nicht möglich. Oft schlichen sich suizidale Gedanken in den Vordergrund und ich wurde depressiver.

Ich begab mich in ambulante psychiatrische Behandlung und bekam, über langen Zeitraum, verschiedene Antidepressiva verschrieben, bei Denen sich herausstellte, dass sie Allesamt die gewünschte Wirkung nicht entfalteten. Daraufhin erhielt ich über mehrere Jahre Ritalin, welches zu Anfang sehr gute Wirkung erzielte. Im späterem Verlauf zeigten sich jedoch vermehrt allergische Reaktionen, die aus ärztlicher Sicht auf die Verabreichung von Ritalin zurückzuführen waren, sodass das Medikament auf Dauer abgesetzt werden musste.


Arbeitsleben

Meine berufliche Biografie zeigt einen nicht konstanten Weg.
Ich wusste sehr früh, welchen Beruf ich einmal ausüben wollte. Ich wollte Erzieher werden, um es besser zu machen, als die Erzieher in meiner Gruppe, jedoch erst im Jahr 1986 war es mir möglich, eine Fachschule für Erzieher zu besuchen. Auf den Wunsch meiner Mutter hin, die einen weiteren Schulweg für mich nicht vorsah, begann ich, in Abständen von einem Jahr, eine kaufmännische Ausbildung (Industriekaufmann und Bürokaufmann), die ich jeweils nach drei Monaten abbrach, um in einer Diskothek zuarbeiten.
Ich arbeitete nach der Fachschule in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen, fiel oft wegen depressiver Phasen aus, wurde arbeitslos, arbeitete dann in den Sommerferien für das Jugendamt als Ferienbetreuer, begann eine Ausbildung zum Kinderkrankenpfleger, die ich nach 6 Monaten abbrach, da ich merkte, dass ich das Leid der Kinder nicht ertragen konnte.

Im Jahr 1994 bekam ich die Chance als Einzelfallhelfer in einer Fördergruppe zuarbeiten. Da innerhalb dieser Fördergruppe eine Stelle vakant war, wurde ich als Gruppenleiter eingestellt. In den 15 Jahren, die ich in der Einrichtung arbeitete, war ich, - zum Verdruss der Kollegen - sehr oft wegen depressiver Episoden arbeitsunfähig.
Die Stimmung im Kollegium verschlimmerte sich mir gegenüber, als ich im Jahr 2010 ein Angebot eines anderen Trägers erhielt und ich mich entschied, dieses Angebot anzunehmen. Während der Zeit in der Fördergruppe machte ich eine berufsbegleitende Ausbildung zum Austimustherapeuten welche in das Konzept des neuen Arbeitgebers passte.
Ich betreute als Einzelfallhelfer autistische Klienten und beriet Eltern.
Durch eine Kooperation mit einem anderen Träger, entstand die Idee eine Wohngruppe für Autisten zu planen. Ich wurde damit beauftragt, das Konzept für diese Einrichtung zu entwerfen.

In dieser Zeit, erschienen die ersten Berichte über Missbrauch
(Canisius-Kolleg, Odenwaldschule) und diese Berichte triggerten mich, sämtliche Erlebnisse kamen wieder hoch und ich brach zusammen.
Ich suchte Hilfe bei einem Psychotherapeuten, der mich dann in eine psychotherapeutische Klinik unterbrachte. Dort war es mir möglich, die Konzeption fertigzustellen, unter leichtem Protest der Therapeuten.
In den Therapiesitzungen war das Therapieziel, mir erneut einen „sicheren Ort“ zu schaffen, wohin ich gedanklich gehen soll, wenn mich Flashbacks heimsuchen. Auch stand die Frage im Raum, wie ich einen weiteren Zusammenbruch entgegen steuern kann, was bisher niemanden gelungen ist.

Im Januar 2013 wurde die Wohngruppe eröffnet. Ich engagierte mich sehr für das Gelingen der Einrichtung, erinnerte mich, dass das Ziel für mich war, für die Bewohner ansprechbar zu sein und für sie einen sicheren Ort zu schaffen, wie ich ihn nie hatte.
2014: Während einer Therapiesitzung erzählte mir ein 13 jähriger Bewohner, dass er gerne Sex mit dem jüngsten Bewohner (9 Jahre) haben würde. Ich war innerlich geschockt, das zu hören, wollte aber das Gespräch nicht unterbrechen. Ich unterdrückte den Anflug eines Flashbacks und konfrontierte ihn mit Fragen, die ihn als Opfer darstellten um ihn die Situation plastisch vorstellen zu lassen.

In den folgenden Tagen litt ich unter wiederkehrenden Flashbacks, die Konsequenz war eine Krankschreibung wegen massivster Depressionen. Da sich mein Zustand nicht besserte und so über Monate krankgeschrieben blieb, sah sich mein Arbeitgeber gezwungen, das Arbeitsverhältnis erst einmal ruhen zu lassen und mir keinen Lohn auszuzahlen. Aufgrund der eingeschränkten finanziellen Situation, fiel es mir zunehmend schwerer, meinen Alltag ausreichend zu bewältigen. Neben der ambulanten psychotherapeutischer Betreuung schaltete ich einen Psychiater ein, der mir empfahl einen Erwerbsunfähigkeitsantrag zu stellen.


Beziehungen

Meine Sexualität ist Bisexuell geprägt.
Ich kann nicht ausschliessen, dass das auf die vergangenen Missbrauchserfahrungen zurückzuführen ist. In der Schulzeit hatte ich vier Beziehungen (ohne sexuelle Handlungen) mit Mädchen.
1980 machte ich Urlaub in Israel, ich wohnte bei Bekannten meines Vaters, mit der Tochter hatte ich Sex, neun Monate später wurde Joshua geboren, der 1994 verstarb.
1983 lerne ich einen gleichaltrigen Jungen kennen, mit dem ich fünf Jahre zusammen war. Er gab mir die Geborgenheit die ich so sehr brauchte.
Die Beziehung war jedoch auch durch Höhen und Tiefen gezeichnet. Rückblickend kann ich sagen, dass ich zu einnehmend war, sehr eifersüchtig und ich hatte Angst ihn zu verlieren.
Das war meine letzte Beziehung in meinem bisherigen Leben.


Psychische Störungen

Aufgrund der Missbrauchstaten etablierte und manifestierte sich eine posttraumatische Belastungsstörung sowie die depressiven Phasen und Depressionen, die nach wie vor anhalten.
Das Asperger-Syndrom wurde 2003 diagnostiziert.
Während einer Untersuchung im Kindesalter wurden schon autistische Verhaltensweisen in den Raum gestellt.
Das ADS obwohl auch schon in frühester Kindheit vorhanden, wurde erst 2008 offiziell diagnostiziert. Obgleich das ADS spät diagnostiziert wurde brachte es in der psychiatrischen Behandlung bis heute keinerlei Verbesserungen, sondern viel mehr eine verstärkende Wirkung auf die PTBS.


Resümee

Als ich im März 2011 den Antrag auf Leistungen in Anerkennung des Leids stellte, war das eine Hürde, die ich nehmen musste. Ich musste mich dem stellen, was ich in vielen Therapiesitzungen auch tat. Ich beantragte auch die Kopien meiner Akten, die ich erhielt. Was ich darin las, machte mich sprachlos.
Ich fragte mich, wie blind konnten die Erzieher/innen sein?
Woran lag es denn, dass ich in der Schule versagte?
Warum lag ich weinend im Bett?
Angeblich lag meine Intelligenz unter dem Durchschnitt?
Gegenbeweis: Ein IQ-Test attestiert einen Wert von 116.